Amazons Streaming-Portal Twitch ist eine seltsame Welt: Einst saßen Streamer:innen vor der Kamera und zockten vor Publikum angesagte Spiele, heute ist die Bandbreite beliebter Formate deutlich größer. Es sitzen Personen in Pools, einen Klick weiter wird sexy in Mikrofone gehaucht, wieder einen Stream weiter spielt jemand tatsächlich ein Spiel und in einer ruhigeren Ecke lernt man gemeinsam. Hauptsache Gesellschaft – und etwas Taschengeld.
Gemeinsames Lernen ist spätestens seit Beginn der Pandemie ein Trend auf der Plattform. Die spanische Ausgabe des Business Insiders hat mit mehreren Studentinnen gesprochen, die nahezu täglich vor laufender Kamera lernen und in den Pausen mit Ihren Zuschauern sprechen. Die Bilanz: Bis zu 1500 Euro monatlich sind drin, obwohl das Geld eigentlich gar nicht so wichtig ist.
So sitzt beispielsweise Belèn alias TheWinterGallery wochentags bis zu 14 Stunden vor der Kamera und bereitet sich auf Prüfungen vor. Man kann sie dabei beobachten, wie sie mit dem Textmarker durch Bücher fährt, konzentriert liest und sich Notizen macht. Irgendwann schrillt ein Alarm, der die Lernpause einläutet. Die spanische Medizinstudentin wendet sich ihren Zuschauern zu, beantwortet Fragen und unterhält sich.
Auf ihre Einnahmen in Höhe einiger hundert Euro im Monat angesprochen, gibt Belèn an, dass ihr das Geld nicht wichtig sei. Viel bedeutsamer sei ihr die weltweite Community Gleichgesinnter, mit denen sie immer wieder Kontakt aufnehmen kann. Denn anders als früher, besteht die Klausurphase für viele Studierende nur noch aus stillem Lernen zuhause – und der soziale Teil des Studiums geht dabei verloren. "Study with me", wie der Trend heißt, soll dem entgegenwirken.
Bei Ana Blanchu lohnt sich das bereits richtig. Auf ihre Prüfungen bereitet sich die Spanierin in ihrem Schlafzimmer vor, sitzt im Schlabberlook vor der Kamera und nutzt Pausen ebenfalls für die Interaktion mit ihrer virtuellen Lerngemeinschaft. Dabei verdient sie nach eigenen Angaben – inklusive Einnahmen aus anderen sozialen Netzwerken – bis zu 1500 Euro monatlich.
Twitch hat aus Stubenhockern bereits Millionäre gemacht – das ist kein Geheimnis. Tatsächlich scheint es sich bei dem gemeinsamen Lernen aber um eine Art Gruppentherapie zu handeln, bei der Geld ausnahmsweise eine untergeordnete Rolle spielt. Studentin Ángela erklärt es so: "Viele Zuschauende melden sich und bedanken sich für die Motivation, die sie durch mich gewinnen konnten. Für mich ist es eine positive Art andere Menschen zu beeinflussen, ihre Ziele zu erreichen."
Natürlich hat das öffentliche Lernen auch seine Schattenseiten. Lorena bereitet sich auf ihr Examen vor und spricht davon, ab und an einen gewissen Druck zu verspüren, wenn sie an schlechten Tagen vor die Kamera muss, weil sie das Gefühl hat, ihre Community würde das erwarten. Auch die Tatsache, dass sie eine Frau ist, wäre von Zeit zu Zeit von Nachteil. Vereinzelt käme es zu blöden Sprüchen oder Beleidigungen.
Vom Betreiber wünscht sie sich daher eine eigene Kategorie für gemeinsames Lernen, in der besonders sorgfältig moderiert wird. Quasi wie eine Bibliothekarin, die beim kleinsten Mucks laut "SCHT!" durch die Reihen keift. Eine amüsante Vorstellung.
Quelle: Business Insider
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